Verkündet am 16.Juli 2003

Aktenzeichen VG 1 A 321.98

Verwaltungsgericht Berlin

 

URTEIL

Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsgerichtssache

des Herrn Nicolas Schnur

Klägers,

Prozessbevollmächtigte

Rechtsanwälte Thomas H.Faensen

Und Bernd Häusler

Magdeburger Platz 2, 10785 Berlin

g e g e n

das Land Berlin,

vertreten durch den Polizeipräsidenten in Berlin,

Stab PPr – Stab 6 -,

Platz der Luftbrücke 6, 12096 Berlin,

Beklagten,

 

hat das Verwaltungsgericht Berlin, 1.Kammer, aufgrund

der mündlichen Verhandlung vom 19.Juli 2003 durch

den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Dr. Rueß,

den Richter am Verwaltungsgerichts Groscurth,

die Richterin am Verwaltungsgericht Sanchez de la Cerda,

den ehrenamtlichen Richter Zöllner und

den ehrenamtlichen Richter Leonhard

für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass die Durchsuchung der vom Kläger genutzten Räume des Hauses Rigaer Straße 80 durch Polizeibeamte des Beklagten am 29.Juli 1997 und die an ihn gerichtete Anordnung, das Haus zu verlassen, rechtswidrig waren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger und dem Beklagten je zur Hälfte auferlegt.

Das Urteil ist wegen den Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen im Zusammenhang mit der Räumung von ihm genutzter Räume des Hauses Rigaer Straße 80 in Berlin-Friedrichshain.

Die aus einem Vorderhaus, zwei Seitenflügel und einem Quergebäude bestehende Altbaumiethaus Rigaer Straße 80 stand im Eigentum einer Erbengemeinschaft. Seit 1990/91 wohnte im Quergebäude sowie in den beiden Seitenflügeln eine größere Anzahl überwiegend junger Leute ohne Mietverträge und Einwilligung der Eigentümer. Der Kläger nahm im April 1991 eine in der 3. Etage links des Quergebäudes liegende Wohnung in Besitz. Gemeinsam mit den anderen Bewohnern nutzte er eine Küche in der 4. Etage dieses Quergebäudes und ein Badezimmer in der 1. Etage eines Seitenflügels; beide Räumlichkeiten waren von den Bewohnern zu diesem Zweck umgebaut worden. Im Dezember 1993 kaufte die aus zwei Personen bestehende R####### GbR das Grundstück. Die Erwerber wurden am 5. September 1996 als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen.

Im Frühjahr 1994 versuchte der Gesellschafter S### R####### erfolglos, die besetzten Gebäudeteile durch von ihm beauftragte Privatpersonen räumen zu lassen. Dieser Vorgang war Gegenstand eines Strafverfahrens (Amtsgericht Tiergarten, 271 Ds 752/95). Am 19. März 1995 verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf die besetzten Gebäudeteile (Ermittlungsverfahren Bra Js 4126/95 und Bra Js 3082/95). In der Folgezeit versahen die Bewohner des Hauses die Zugänge zu den Seitenflügel und Quergebäudeaufgängen mit abschließbaren Stahltüren. Das Vorderhaus wurde im April 1996 vom Bauaufsichtsamt wegen Baufälligkeit gesperrt.

Im Sommer 1996 fanden – offenbar auf Veranlassung des Bezirksbürgermeisters von Friedrichshain – Gespräche der Erwerber des Grundstücks mit den Bewohnern statt, um für das Gebäude eine für alle Beteiligte zufrieden stellende Lösung zu erarbeiten. Unter dem 13. August 1996 teilte die Statt Bau Stadtentwicklungsgesellschaft mbH dem Bezirksbürgermeister Folgendes mit: Der Erwerber Herr R####### wolle auf jeden Fall Eigentümer des Gebäudes bleiben und "Herr des Verfahrens" sein, alle wichtigen Arbeiten sollten von Partnerunternehmen seines Vertrauens wahrgenommen werden. Die Sanierung sollte mit öffentlicher Förderung durchgeführt werden, wobei eine Mitsprache der Bewohner bei der Planung für ihn denkbar sei. Ein besonderer Mietvertrag und eine zwischengeschaltete Hausverwaltung sei für ihn eventuell aktzeptabel. Das Hausplenum der Besetzer habe über dieses Angebot diskutiert und sei, wie der Kläger mitgeteilt habe, zu der Überzeugung gekommen, dass eine Lösung auf dieser Ebene nicht möglich sei. Der Bezirk werde gebeten zu prüfen, ob von seiner Seite weitere Möglichkeiten bestünden, die beiden Parteien zu weiteren Kompromissen zu bewegen.

Ebenfalls im Sommer 1996 beauftragten die Grundstückskäufer die N#####, S#### und Partner GmbH mit vorbereitenden Untersuchungen des Grundstücks für in Aussicht genommene Sanierungsmaßnahmen. Mit Schreiben vom 6. August 1996 teilte das Büro N##### den Käufern mit, die Bewohner des Hauses Rigaer Straße 80 hätten ihre Mitarbeiter am 5. August 1996 daran gehindert, in das Gebäude zu gehen und die erforderliche Bestandsaufnahme vorzunehmen.

Mit Schreiben vom 19.August 1996 beantragte die R####### GbR beim Polizeipräsidenten in Berlin die kurzfristige Räumung des Hausgrundstücks. Zur Begründung gab sie an, wegen der Baufälligkeit des Gebäudes bestehe Gefahr für Leib und Leben der Bewohner, Passanten und Anwohner. Die notwendigen Sanierungsmaßnahmen könnten mangels ausreichender Fachkunde von den Bewohnern des Hauses entgegen deren Auffassung nicht geleistet werden. Diesen Antrag lehnte der Polizeipräsident in Berlin mit Bescheid vom 30. August 1996 ab. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch, dem der Polizeipräsident nicht abhalf, bat die Senatsverwaltung für Inneres mit Schreiben vom 25. Oktober 1996 um Erläuterung, warum der Räumungsantrag abgelehnt und dem diesbezüglichen Widerspruch nicht abgeholfen worden sei. Der Polizeipräsident erklärte hierauf mit Schreiben vom 16. Dezember 1996, eine Räumung sei nach den Grundsätzen der Berliner Linie nicht möglich, da bislang nur ein Räumungsantrag vorliege, Strafanträge jedoch nicht gestellt worden seien noch etwas erkennbares unternommen worden sei, um die Rechte der Erwerber im Zivilrechtsweg wahrzunehmen.

Den im Januar 1997 von den Eigentümern gestellten Strafantrag gegen die Hausbewohner wegen Sachbeschädigung an Versorgungsleitungen, Türen und Treppen im Seitenflügeln und dem Quergebäude des Anwesens sowie wegen unerlaubten Aufenthalts stellte die Amtsanwaltschaft Berlin im März 1997 nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Nachdem das Landeseinwohneramt Berlin der R####### GbR bereits im Oktober 1996 Auskunft über 18 in der Rigaer Straße 80 gemeldeten Personen – darunter der Kläger – gegeben hatte, beauftragte die GbR einen Gerichtsvollzieher, diesen 18 sowie drei weiteren ihr namentlich bekannten natürlichen Personen und dem von den Hausbesetzern gegründeten Kreatives Wohnen Verwirklichen e.V. Räumungsaufforderungen, datierend mit dem 16. Januar 1997, zuzustellen. Mit Schreiben vom 22. Januar 1997 teilte der Gerichtsvollzieher der R####### GbR mit, nach seiner Auffassung sei eine rechtswirksame Zustellung angesichts der Verhältnisse in dem Hausanwesen nicht möglich. Der Zugang zum Haus sei zwar frei, jedoch seien im Vorderhaus die Zugänge zu den beiden Aufgängen versperrt, ebenso der Zugang zum Hinterhaus und zum Seitenflügel. Ein Hausbriefkasten sei nicht vorhanden. In Kenntnis dieses Sachverhalts teilte der Polizeipräsident der Senatsverwaltung für Inneres mit Schreiben vom 29. Januar 1997 mit, er halte nunmehr eine Räumung für gerechtfertigt. Die Senatsverwaltung gab dieses Ersuchen mit der Bitte um Nachbesserung zurück, da die Einschätzung, eine Räumung sei rechtlich zulässig, in Anbetracht der noch vor kurzen vom Polizeipräsidenten vertretenen gegenteiligen Auffassung erklärungsbedürftig sei. Daraufhin vom zuständigen Polizeiabschnitt im März 1997 durchgeführten Hausermittlungen ergaben, dass zwar alle Treppenhausaufgänge verschlossen waren, neben dem Eingang zum Seitenflügel jedoch vier zugängliche Briefkästen mit insgesamt 2 Namensangaben – darunter nicht der Name des Klägers – befestigt waren. Die Namenslisten auf drei dieser Briefkästen enthielten den Zusatz "und andere". Diese Feststellungen übermittelte der Polizeipräsident der R####### Gbr mit Schreiben vom 10. März 1997 und äußerte die Auffassung, eine rechtswirksame Zustellung sei möglich, die Voraussetzungen für eine polizeiliche Räumung lägen deshalb zur Zeit nicht vor. Der hierüber informierte Gerichtsvollzieher teilte den die R####### Gbr vertretenen Anwälten mit Schreiben vom 20. März 1997 mit, er habe das Hausanwesen nochmals besichtigt und dabei zwei Briefkästen am Eingang zum Seitenflügel mit insgesamt 18 Namensangaben gesehen. Eine rechtswirksame Zustellung bzw. Ersatzzustellung sei nicht möglich, da kein Zutritt zu den einzelnen Wohnungen, sofern diese überhaupt bestünden, ermöglicht werde. Mit einem am 28. April 1997 per Einschreiben an den Gerichtsvollzieher gerichteten Schreiben bat der Kläger in Vertretung des Kreativen Wohnen e.V. um schriftliche Benachrichtigung vor einer beabsichtigten Zustellung, damit diese von den jeweiligen Zustellungsadressaten entgegen genommen werden könnte. Dieses Schreiben übersandte der Kläger auch der Senatsverwaltung für Inneres und erklärte dabei, dass Zwei Bewohner des Hauses Rigaer Straße Herrn S### R####### vergeblich um die Aushändigung derjenigen Schriftstücke gebeten hätten die ihnen im März 1997 durch den Gerichtsvollzieher hätten zugestellt werden sollen. In einem Zivilrechtsstreit des Kläger gegen die R####### GbR um die Wasserversorgung und Entwässerung der Gemeinschaftsküche im Haus Rigaer Straße 80 ließ das Amtsgericht Schöneberg dem Kläger am 7. Mai und 17. Juli Schriftstücke durch die Post im Wege der Niederlegung zustellen.

Im Mai 1997 teilte die R####### GbR dem Bezirksamt Friedrichshain mit, dass sie vertragliche Bindungen mit den derzeitigen Bewohnern des Hauses Rigaer Straße 80 kategorisch ablehne. Mit Schreiben vom 23. Mai 1997 äußerte das Bezirksamt die Hoffnung und den Wunsch, dass es zwischen den Eigentümern und den Bewohnern zu einer einvernehmlichen Lösung komme und dass eine öffentlich geförderte Modernisierung/Instandsetzung des Hauses alsbald realisiert werden könne. Nach übereinstimmender Rechtsauffassung von Bezirk und Senatsbauverwaltung kommt ein vorgezogenes Sozialplanverfahren gemäß §180 BauGB nur dann in Betracht, wenn zwischen Eigentümer und Bewohnern klare Vertragsverhältnisse bestünden. Auf Grund der laufenden Verhandlungen habe der Bezirk bereits die Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Modernisierung (BSM) mit der Erarbeitung eines baulichen Grobchecks zur Kosteneinschätzung in Vorbereitung auf die mögliche Förderung beauftragt. In einer vom Eigentümer S### R####### gefertigten Niederschrift über eine Besprechung am 20, Mai 1997 mit der BSM heißt es, das aus seiner – R#######s – Sicht eine Sanierung des Grundstücks im Rahmen eines Selbsthilfeprojekts mit den gegenwärtigen Besetzern nicht in Frage komme. Trotz der beantragten Räumung des Grundstücks sehe er einer einvernehmlichen Lösung der Besetzerproblematik entgegen.

Mit Schreiben vom 2. Juni 1997 teilte die R####### GbR der Senatsverwaltung für Inneres mit, die Verhandlungen mit den Hausbewohnern zwecks Lösung der Sanierungsproblematik seien endgültig gescheitert, und bat darum, den Räumungsantrag weiter zu bearbeiten. Die Senatsverwaltung für Inneres wies daraufhin den Polizeipräsidenten mit Schreiben vom 14. Juli 1997 an, einen Räumungszeitpunkt nach eigener Lagebeurteilung festzulegen und die Einzelheiten der Durchführung mit der R####### GbR abzustimmen. Die subsidiäre polizeiliche Zuständigkeit für den Schutz privater Rechte sei angesichts der durch die Bescheinigungen des Gerichtsvollziehers von Januar und März 1997 belegten Unmöglichkeit einer Zustellung von Schriftstücken an die Bewohner des Hauses Rigaer Straße 80 gegeben. Ausweislich eines Vermerks vom 18. Juli 1997 wurde in einer die Räumung vorbereitenden Besprechung zwischen Mitarbeitern des Polizeipräsidenten und dem Eigentümer Herrn R####### unter anderem festgelegt, dass die Polizei nach der Räumung ein Übergabeprotokoll fertige und das Objekt mit den noch verbliebenen Sachen der ehemaligen Bewohner an die Eigentümer bzw. deren Vertreter übergeben werde.

Am 29. Juli 1997 gegen 6.30 Uhr begann die Räumung des Hausanwesens durch Sondereinsatzkräfte. Die Räumung wurde von zahlreichen Medienvertretern beobachtet. Die Polizeikräfte fanden im Hause 20 Personen, darunter den Kläger in dessen Wohnbereich, an. Der Kläger wurde wie die anderen Personen aufgefordert, das Haus zu verlassen. Er konnte dabei einen Rucksack, einen Seesack sowie ein Plastiktüte mit persönlicher Habe aus seinem Wohnbereich mitnehmen. An der Räumung beteiligte Polizeibeamte teilten dem Kläger mit, dass er im Laufe der nächsten Tage sein restliches Eigentum abholen könne. In einem Übergabeprotokoll vom selben Tage wurde festgehalten, dass die Polizei Herrn S### R####### gegen 10.10 Uhr das Gebäude Rigaer Strasse 80 mit den in den Wohnungen befindlichen Gegenständen, die nicht Gegenstand einer polizeilichen Sicherstellung oder Beschlagnahme im Rahmen der Gefahrenabwehr oder eines Strafverfahrens gewesen seien, übergeben habe.

Der Kläger hat am 23. Juli 1998 Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der am 29. Juli 1997 erfolgten polizeilichen Räumung des Hauses Rigaer Strasse 80 erhoben. Ein berechtigtes Rehabilitationsinteresse an der begehrten Feststellung bestehe, da die Polizeimaßnahmen tiefgreifend in sein Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen habe. Der Beklagte habe zudem sein Eigentumsgrundrecht schwerwiegend beeinträchtigt, indem er seine Habe an die Grundstückseigentümer übergeben und damit zugelassen habe, dass diese – wie geschehen – die Gegenstände durch Herauswerfen aus dem Fenster und Abtransport zerstört hätten. Die anwesenden Polizeibeamten seien trotz seiner wiederholten Aufforderung gegen die Zerstörung nicht eingeschritten. Die Räumung sei bereits mangels Zuständigkeit der Polizei rechtswidrig gewesen, da die R####### GbR ihre Eigentumsrechte auch auf dem Zivilrechtswege hätten verfolgen können. Insbesondere die Zustellung durch das Amtsgericht Schöneberg im Mai und Juli 1997 hätten gezeigt, dass Zustellungen an ihn – den Kläger – möglich gewesen seien. Schließlich habe der Beklagte den Grundstückseigentümern nicht die Verwahrung der zurückgelassenen Gegenstände des Klägers übertragen dürfen.

Der Kläger beantragt,

festzustellen,

  1. dass das Betreten und die Durchsuchung der vom Kläger benutzten Räume des Hauses Rigaer Straße 80 durch Polizeibeamte des Beklagten am 29. Juli 1997 und die an ihn gerichtete Anordnung der Polizeibeamten, das Haus zu verlassen, rechtswidrig waren,
  2. dass die hierbei an ihn gerichtete Anordnung, seine in den von ihm benutzten Räumen befindliche bewegliche Habe, soweit er sie nicht bei der Räumung mitgenommen hat, dort zu belassen und die Übergabe dieser Sachen durch Polizeibeamte de Beklagten an die Grundstückseigentümer rechtswidrig waren,
  3. hilfsweise festzustellen, dass der sofortige Vollzug der in den Anträgen zu 1. und 2. genannten Anordnung rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage mangels Rehabilitationsinteresses für unzulässig. Hinsichtlich einer Verletzung de Artikels 13 GG gingen von der polizeilichen Maßnahme keine nachhaltigen Grundrechtsbeeinträchtigungen aus, vielmehr beschränkten sich die Belastungen des Klägers im Hinblick auf die durch dieses Grundrecht geschützte Privatsphäre nur auf den Zeitraum des Räumungsvorgangs. Was die geltend gemachte Eigentumsbeeinträchtigung an den in den Räumen zurückgelassenen Gegenständen angehe, habe der Kläger nicht hinreichend genau dargelegt, durch welche Handlung er das Eigentum verletzt haben solle und auch die zerstörten Gegenstände nicht detailliert bezeichnet. Jedenfalls sei die Klage unbegründet. Die Polizei sei für die Räumung zuständig gewesen, da der R####### GbR an Durchsetzung ihrer Eigentumsrechte im Zivilrechtsweg nicht zumutbar gewesen sei. Den Beschriftungen der Briefkästen habe die genaue Anzahl der Bewohner nicht entnommen werden können. Die auf den Briefkästen angegebenen Personen seien zu einem großen Teil im Haus nicht gemeldet gewesen, so dass man von einer hohen Fluktuation unter den Bewohnern habe ausgehen müssen. Die Besetzung des Hausanwesens gegen den Willen der Eigentümer sei außerdem als Hausfriedensbruch strafbar gewesen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird neben der Verwaltungsstreitakte auf den vom Beklagten eingereichten Verwaltungsvorgang verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hat teilweise Erfolg.

  1. Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1) als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) zulässig, im Übrigen ist sie unzulässig.
  2. Der Kläger hat ein im Bezug auf die mit dem Antrag zu 1) angegriffenen und durch sofortigen Vollzug erledigten polizeilichen Maßnahmen (Betreten und Durchsuchen der fraglichen Räume, dabei ergangene Anordnung, dieselben zu verlassen) ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass ein schutzwürdiges ideelles Interesse an der Rechtswidrigkeitsfeststellung nicht nur in Fällen in Betracht kommt, in denen abträgliche Nachwirkungen der erledigten Verwaltungsmaßnahmen fortbestehen; vielmehr kann auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich verbunden mit dem durch Artikel 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordern, das Feststellungsinteresse anzuerkennen ( BVerwG, NVwZ 1999, 991 ff.). Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 8 m.w.N.). Der effektive Rechtsschutz gebietet es, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkender Grundrechtseingriffe auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz darf nicht von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht werden, das an den Betroffenen ein Exempel statuiert oder sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabgesetzt wurde ( vgl. BverfG NVwZ 1999, 290, 291 f.; ferner BVerfGE 96, 97, 39 f. m.w.N.).

    Im vorliegenden Fall ergibt sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresses hinsichtlich des Antrags zu 1. aus einer möglichen Verletzung des Grundrechts des Klägers aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG. Ein tiefgreifender Grundrechtseingriff im vorgenannten Sinne ist dabei jedenfalls dann zu bejahen, wenn Gegenstand der Klage eine unter Verletzung des Richtervorbehalts in Art. 13 Abs. 2 GG erfolgte Durchsuchung einer Wohnung ist.

    Der Kläger kann sich auch auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung berufen, obwohl er die von ihm genutzten Räume des Hauses Rigaer Strasse 80 unbefugt – d.h. ohne Zustimmung der Eigentümer – nutzte. Schutzgut des Art. 13 GG ist allein die Privatheit einer Wohnung, d.h. die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet; das Grundrecht gewährt dem Einzelnen mit Blick auf die Menschenwürde sowie im Interesse der Entfaltung der Persönlichkeit einen elementaren Lebensraum, in dem nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 ff. GG eingegriffen werden darf ( BVerfGE 89, 1, 12; 51, 97, 110). Danach ist konstitutiv für die Geltung des Art. 13 GG nicht die im Bezug auf eine bestimmte Wohnung bestehende Berechtigung des Wohnungsinhabers; ein privater Lebensbereich im Sinne einer "geschützten Atmosphäre des Privatlebens" kann deshalb auch in einer rechtswidrig besetzten Wohnung bestehen (Berkemann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Lieferg. Oktober 2001, Art. 13 Rdn. 52.; Kunig, in: V. Münch/Kunig, Grundgesetz, 5. Aufl. 2000, Art. 13 Rdn. 14). Damit wird eine in Widerspruch zur Rechtsordnung stehende Haus- und Wohnungsbesetzung nicht legalisiert, aber unter besonderen Grundrechtsschutz (z.B. Art. 13 Abs. 2 GG) gestellt. Maßgeblich dafür, ob in Fällen illegaler Wohnnutzung das Grundrecht aus Art. 13 GG Platz greift sind die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Besteht – wie hier – eine solche Nutzung über mehr als 5 Jahre, hat der Eigentümer gewechselt, haben Verhandlungen mit dem neuen Eigentümer über eine Legalisierung der Nutzung stattgefunden und hat gar die Polizei ein ordnungsrechtliches Einschreiten zunächst abgelehnt, kann wegen der damit verbundenen Verfestigung der Nutzung allein ein Scheitern der Verhandlungen zwischen Eigentümer und Hausbesetzern das Entstehen einer geschützten Privatsphäre und damit die Geltung des Art. 13 GG nicht in Frage stellen.

    In Bezug auf den Klageantrag zu 2. und den hierzu gestellten Hilfsantrag vermag die Kammer einen zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage führenden tiefgreifenden Grundrechtseingriff hingegen nicht zu erkennen.

    Mit diesen Anträgen macht der Kläger eine Verletzung seines Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. GG) geltend. Ein auf Eigentumsverletzung bezogenes berechtigtes Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht indes in der Regel nicht. Hat sich Verwaltungshandeln, das zu materiellen Schäden für den Betroffenen geführt hat, bereits vor Einreichung der Fortsetzungsfeststellungsklage erledigt, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu verneinen; der Betroffene hat hier die Möglichkeit, durch Erhebung einer Schadenersatzklage Genugtuung zu erhalten, und muss sich deshalb in solchen Fällen auf die Möglichkeit einer Leistungsklage beim zuständigen Gericht verweisen lassen, das im Rahmen der Beurteilung des Schadenersatzbegehrens die Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns inzident prüfen muss (vgl. Kopp/Schenke VwGO, 13. Aufl. 2003, § 113 Rdn. 136 m.w.N.). Ein besonderes Feststellungsinteresse kann in diesen Fällen nur dann bejaht werden, wenn der Art und Weise der mit der Fortsetzungfeststellungsklage angegriffenen Eigentumsverletzung ein eigenes, über die bloße Schädigung hinausgehendes besonderes Gewicht zukommt. Dies ist hier zu verneinen. Die mit dem Klageantrag zu 2. und dem hierauf bezogenen Hilfsantrag zur Entscheidung gestellten polizeilichen Maßnahmen (Anordnung an den Kläger , seine in den von ihm genutzten Räumlichkeiten befindliche bewegliche Habe, soweit er sie nicht bei der Räumung mitgenommen hat, dort zu belassen und die Übergabe dieser Sachen durch Polizeibeamte des Beklagten an die Grundstückseigentümer) sind für sich gesehen wertneutral. Der weiter Verbleib der habe des Klägers, insbesondere die rechtliche Beurteilung der Rechtmäßig ihrer – vom Kläger unwidersprochen behaupteten – Vernichtung durch Beauftragte des Hauseigentümers ist nicht Gegenstand des Klageverfahrens. In der schlichten Übergabe des Anwesens und der darin befindlichen Gegenstände an die Hauseigentümer vermag die Kammer eine den Kläger auch in seiner Menschenwürde berührende und herabsetzende polizeiliche Maßnahme nicht zu erkennen.

  3. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1. auch begründet . Die dort genannten polizeilichen Maßnahmen gegenüber dem Kläger waren rechtswidrig.

a) Nach $1 Abs.4 ASOG obliegt der Schutz privater Rechte der Polizei nach diesem Gesetz nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt und wesentlich erschwert würde. Diese Voraussetzungen waren hier in Bezug auf den mit der angegriffenen Räumung bezweckten Schutz der Rechte der Eigentümer des Grundstücks Rigaer Straße 80 nicht erfüllt. Dabei kann dahinstehen, welche zivilrechtlichen Anstrengungen außergerichtlicher und gerichtlicher Art der Eigentümer eines besetzten Hauses unternehmen muss, damit eine Zuständigkeit der Polizei nach § 1 Abs. 4 ASOG in Betracht kommt. Zu fordern dürfte mindestens eine an die Bewohner gerichtete vorprozessuale Aufforderung sein, die widerrechtlich genutzten Räume innerhalb einer gesetzten Frist zu verlassen, verbunden mit der Androhung, anderenfalls gerichtliche oder polizeiliche Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Eine solche Aufforderung ist hier nicht ergangen. Sie wäre auch möglich gewesen. Eine förmlich Zustellung durch Gerichtsvollzieher, deren vermeintliche Unmöglichkeit zur Anordnung der polizeilichen Räumung des Hauses führte, war nicht erforderlich. Die Räumungsaufforderung ist eine einfache Willenserklärung, deren Zugang beim Adressaten keiner besonderen Form bedarf (§132 Abs. 2 BGB); bei Willenserklärung gegenüber unbekannten Personen oder Personen mit unbekannten Aufenthalt, denen gegenüber eine Erklärung abzugeben ist, steht das Verfahren der gerichtlichen Bewilligung der Zustellung nach den für die öffentliche Zustellung einer Ladung geltenden Bestimmungen zur Verfügung (§132 Abs. 2 BGB). Deshalb hätte der Beklagte von den Eigentümern vor Anordnung einer polizeilichen Räumung den ernsthaften Versuch verlangen müssen, den Wohnungsnutzern Räumungsaufforderungen formlos – etwa durch Einwurf in die vorhandenen Briefkästen mit Hinzuziehung von Zeugen und Anfertigung eines Protokolls, durch Anschlag an den vorhandenen Türen oder auf ähnliche Weise – zur Kenntnis zu geben. Dass auch eine Klageerhebung mit dem dann eröffneten Weg der Zustellung durch die Post möglich gewesen wäre, zeigen die an den Kläger noch kurz vor der Räumung erfolgreich bewirkten gerichtlichen Zustellungen.

b) Ungeachtet dessen war das Betreten und die Durchsuchung der von dem Kläger genutzten Räume durch Polizeibeamte auch materiell rechtswidrig.

Nach § 36 Abs. 1 ASOG kann die Polizei eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten und durchsuchen, wen die in den Nr. 1 bis 3 der Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Durchsuchungen dürfen außer bei Gefahr im Verzug nur durch den Richter angeordnet werden (§ 37 Abs. 1 Satz 1 ASOG, Art. 13 Abs. 2 GG). Ausgehend hiervon erweisen sich die im Antrag zu 1. genannten polizeilichen Maßnahmen als rechtswidrig, weil sie ohne richterliche Anordnung erfolgt sind.

Das polizeiliche Tätigwerden am 29.Juli 1997 ist als Betreten und Durchsuchen der Wohnung des Klägers im Sinne der vorgenannten Bestimmungen zu werten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BverfGE 75, 318, 327 f.; 51, 97, 106 f.) sowie des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 47, 31, 37) ist für eine Durchsuchung das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zu Ermittlung eines Sachverhaltes kennzeichnend; es soll etwas aufgespürt werden, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht herausgeben oder offenlegen will. Dem gegenüber sind bloße Besichtigungen einer Wohnung, z.B. zur Feststellung, ob der Inhaber seinen Beruf ordnungsgemäß ausübt, die unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen beim Betreten der Wohnung oder die Nachschau eines Beamten der Wohnungsamts, ob eine Wohnung über- oder unterbelegt ist, keine Durchsuchung (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 16.Juli 2003 – OVG 1 M 26.01). Ausgehend hiervon erfüllt der hier zur Entscheidung stehende Sachverhalt die Merkmale einer Durchsuchung. Ziel der Polizeiaktion war es, alle im Haus Rigaer Straße 80 sich aufhaltenden Personen aus dem Gebäude zu entfernen und das Grundstück anschließend den Eigentümern zu übergeben. Auch wenn der weit überwiegende Teil der Bewohner den Polizeibeamten namentlich bekannt war, war zum Einen ungewiss, welche dieser Personen sich dort tatsächlich aufhielten, zum Anderen war davon auszugehen, dass sich außer den namentlich bekannten Personen auch andere dort aufhielten. Um den polizeilichen Auftrag zu erfüllen war deshalb eine Durchsuchung der Räume nach dort befindlichen Personen unvermeidlich.

Die nach den eingangs genannten Bestimmungen erforderliche richterliche Anordnung für die Durchsuchung wurde vom Beklagten nicht eingeholt. Schon deshalb erweist sich die Maßnahme als rechtswidrig. Dies gilt auch für die an den Kläger gerichtete Aufforderung, das Haus zu verlassen, da diese in unmittelbarem tatsächlichen Zusammenhang mit der Durchsuchung erfolgte und ohne die Durchsuchung nicht hätte ausgesprochen und durchgesetzt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr 11 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin. Kirchstraße 7, 10557 Berlin zu stellen. Er muss das angefochtenen Urteil bezeichnen.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin einzureichen.

Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Dr. Rueß

RiVG Groscurth kann wegen Urlaub nicht unterschreiben. Dr. Rueß

Sanchez de la Cerda